Joghurt-Sauerteig

Fermentieren mit Joghurt – eine alte Methode neu entdeckt

Sauerteig erlebt seit Jahren ein verdientes Revival. Immer mehr Menschen backen ihr Brot selbst – aus gutem Grund: Geschmack, Bekömmlichkeit, Natürlichkeit und Regiolalität überzeugen. Eine besonders spannende Variante ist der Joghurt-Sauerteig.

Sauerteig und Joghurt gehören zu den ältesten Formen fermentierter Lebensmittel. Während Sauerteigbrot vor über 5000 Jahren im alten Ägypten gebacken wurde, reicht die Geschichte des Joghurts mindestens ebenso weit zurück – mit Ursprüngen in Zentralasien, dem Kaukasus und Teilen des nahen Ostens – besonders in diesen Regionen war Joghurt ein tägliches Grundnahrungsmittel – und wurde manchmal auch in Teige eingeführt. Die Kombination aus fermentierter Milch, Joghurt, Kefir oder Buttermilch und Mehl wurde dort genutzt, um Brotteige zu säuern oder lockern – eine Praxis, die heute noch in einigen norddeutschen Rezepten sowie Bäckereien und auf traditionellen Bauernhöfen in Süddeutschland zu finden ist. Die Verbindung beider Fermentationsformen – Sauerteig und Joghurt – ist historisch nicht neu, aber wurde in der modernen Backszene in den letzten Jahrzehnten wiederentdeckt.

Was ist Joghurt-Sauerteig?

Ein Joghurt-Sauerteig ist eine milde Variante des klassischen Sauerteigs, bei der statt Wasser Joghurt zum Füttern und Fermentieren verwendet wird. Dabei bringt der Joghurt lebendige Milchsäurebakterien in den Teig, die mit den Hefen aus dem Mehl und der Umgebung zusammenarbeiten. Die in Joghurt enthaltenden Milchsäurebakterien verleihen dem Joghurt-Sauerteig nicht nur ein extrem feineres Aroma, sondern unterstützen auch die Entwicklung eines stabilen, mild-säuerlichen Teigs.

Während herkömmlicher Sauerteig eine Mischung aus Mehl, Wasser und wilden Hefen ist, bringt der Joghurt zusätzliche Bakterienstämme mit – und verändert damit die Gärung und den Geschmack positiv.

Joghurt-Sauerteig

Gamechanger: Ich schätze den Joghurt-Sauerteig besonders in Verbindung mit Dinkelmehl. Oft wird bei Dinkelmehl eine etwas festere Teigführung empfohlen. Das liegt am Gluten, es unterscheidet sich von Gluten des Weizens. Das für die Teigbildung entscheidende Gluten besteht auch beim Dinkel aus Glutenin und Gliadin. Dem Dinkel fehlen jedoch einige Gluteninfraktionen, welche für die stärkere Elastizität im Gluten des Weizens verantwortlich sind. Teige aus Dinkelmehl sind daher oft plastischer und nachlassender als Weizenteige. Dinkel hat in der Regel eine kürzere Teigentwicklungszeit und eine schlechtere Teigstabilität sowie eine größere Teigerweichung als Weizen. Zudem besitzen Dinkelmehle eine etwas niedrigere Wasseraufnahme als Weizenmehle. Durch eine Zugabe von Ascorbinsäure, Floh-, Chia- oder Leinsamen werden die schwächeren Teigeigenschaften teilweise kompensiert.

Seit ich Dinkelteige mit Joghurt-Sauerteig backe, kann ich auf die genannten natürlichen Zusatzstoffe verzichten – der Dinkelteig profitiert von der Stabilität des Joghurt-Sauerteigs und sorgt für ein größeres Feuchthaltevermögen, als klassische Sauerteige.

Natürlich können dem Teig zusätzlich Floh-, Chia- oder Leinsamen als Quell- oder Brühstück beigefügt werden, neben der positiven Wirkung auf die Teigkonsistenz und Teigstabilität enthalten sie jede Menge gesundheitsförderlicher Nährstoffe, die gut für unsere Darmflora sind.


Wie funktioniert Joghurt-Sauerteig?

Bei Joghurt-Sauerteig übernehmen vor allem homofermentative Milchsäurebakterien die Hauptrolle. Sie produzieren überwiegend Milchsäure statt Essigsäure, was dem Teig ein milderes Aroma und eine weichere Säure verleiht. Diese weichere Säure wird oft von Menschen mit Magenproblemen und Reflux, besser vertragen als klassische Sauerteigbrote.

Ein Beispiel aus meiner Praxis: Ein Nachbar von mir verträgt keine klassischen Sauerteigbrote. Nach dem Verzehr leidet er an typischen Symptomen wie Sodbrennen und Magenbeschwerden. Deshalb verzehrt er nur Brote mit Hefe. Also habe ich für meinen Nachbarn ein Brot mit Sauerteig Marvin gebacken, in der Hoffnung die milde Säure von Sauerteig Marvin würde ihm gut tun. Zunächst schien auch alles gut – mein Nachbar freute sich endlich ein Brot trotz Sauerteig vertragen zu können. Nach eineinhalb Stunden klagte er über die üblichen Symptome.

Ein neuer Versuch: dieses Mal habe ich das Brot mit meinem Joghurt-Sauerteig gelockert – mein Nachbar war nach dem letzten Brot und seinen vorherigen Erfahrungen mit Sauerteigbroten recht skeptisch. Er verzehrte einige Scheiben Brot und wartete auf die üblichen Anzeichen seiner Unverträglichkeit, diese blieben jedoch aus. Mein Nachbar war ganz erstaunt und glücklich – jetzt kann er wieder Sauerteigbrot genießen, dank Joghurt-Sauerteig.

Nicht jeder Mensch mit dieser Symptomatik reagiert so positiv auf Joghurt-Sauerteig – aber ein Versuch ist es wert: man kann nur gewinnen. Entweder an Erfahrung oder an Sauerteig-Genuss.


Joghurt Sauerteig ansetzen bzw. aus einem Stück Sauerteig Marvin umzüchten:

Alle Zutaten miteinander vermischen und den Teig zu einer Rolle formen, genauso wie bei Sauerteig Marvin – in ein Gläschen oder Tontöpfchen legen und mit Deckel locker verschließen. Den Ansatz entweder bei Raumtemperatur oder im Backofen oder Gärautomat bei 30°C reifen lassen – aufgrund der Bakterienkulturen mag es der Joghurt-Sauerteig besonders gerne warm. Natürlich kann man den Joghurt-Sauerteig auch bei Raumtemperatur stehen lassen, jedoch wächst er dann langsamer und entwickelt eine ganz leichte Essigsäure, diese ist jedoch viel milder als bei klassischen Sauerteigen.

Gereifter Joghurt-Sauerteig riecht herrlich mild-sahnig, einfach lecker rund nach Joghurt. Wirklich ein ganz tolles Aroma, dass sich im Geschmack des Brotes wiederfindet.

Joghurt-Sauerteig füttern und pflegen
Joghurt-Sauerteig geformt

Wenn der Joghurt-Sauerteig reif ist, wird er wieder gefüttert – die work up Reste können verbacken werden.

  • 25 g Joghurt-Sauerteig
  • 40 g Bio Joghurt 3,8%
  • 50 g T80 Paysans

Die ersten Tage habe ich den Joghurt-Sauerteig ein bis zwei Mal täglich gefüttert – und nicht im Kühlschrank gelagert. Erst nach einer Woche habe ich ihn im Kühlschrank geparkt. Man kann sowohl direkt mit den kalten Sauerteigresten einen Teig ansetzen oder der Joghurt-Sauerteig wird wie gewohnt gefüttert und mit frisch gereiften Sauerteig dann der Teig hergestellt – also im Grunde kann man mit dem Joghurt-Sauerteig genauso arbeiten, wie mit den üblichen Sauerteig-Familienmitgliedern.

TIPP: Mit den work up Resten lässt sich auch ein aromatisches nach Joghurt-duftendes Sauerteigkochstück herstellen.

Joghurt-Sauerteig Kochstück

Wenn ich eine etwas größere Portion Joghurt-Sauerteig benötige nehme ich…

  • 50 g Joghurt-Sauerteig
  • 80 g Joghurt 3,8%
  • 100 g T 80 Paysans

Ich pflege meinen Joghurt-Sauerteig im Verhältnis 1:1,6:2 – dieses Verhältnis sorgt für eine angenehme Teigkonsistenz – der Joghurt-Sauerteig fühlt sich “bauschig” an und hat eine konstante Fermentationsaktivität. Der Teig bleibt aktiv, wird aber nicht überfüttert – ideal für tägliches oder wöchentliches Backen.

Was macht T80 Paysans Mehl so besonders?

Für meinen Joghurt-Sauerteig verwende ich T80 Paysans Mehl von Bon’gu, ein französisches Urweizen-Cuvee auf Stein vermahlen – warum verwende ich gerade dieses Mehl?

  • hoher Mineralstoffgehalt: fördert das Wachstum der Mikroorganismen und eine stabile Fermentation
  • Gute Wasseraufnahme: ideal für luftige Teige
  • Natürlicher Charakter: weniger standarisiert als Industrieware, enthält mehr Enzyme und lebendige Mikroflora. Durch enthaltende Randsichten erhält der Sauerteig oder das Brot mehr tiefe und Aroma. Pasyans Mehl hat einen milden, leicht nussigen Geschmack und harmoniert hervorragend mit dem Geschmack von Joghurt
  • Gute Balance: mit fast einer Nährstoffdichte wie bei Vollkorn aber mit Eigenschaften eines Weißmehls – wird mit Paysans ein Teig hergestellt oder mit einer größeren Menge Joghurt-Sauerteig, sollte dieser vorsichtig geknetet werden. Der Teig profitiert von Autolyse, Dehnen + Falten sowie einer langen kalten Fermentation
  • Regionale Qualität: Das Mehl stammt oft von kleinen, traditionellen Bauern, die auf biologische oder nachhaltige Landwirtschaft setzen. Dies erhöht die Qualität der Mikroorganismen im Mehl, die zur Fermentation beitragen

Dieses Mehl liefert die perfekte Grundlage für einen ursprünglichen, gesunden und aromatischen Sauerteig.

Welche Alternativen gibt es zu T80 Paysans?

Alternativen zu T80 Paysans – natürlich in Bio-Qualität von Bio Mühle Eiling:

  • Dinkelmehl Type 1050
  • Dinkelvollkorn
  • Weizenmehl Typ 1050
  • Weizen oder Dinkel Ruchmehl
  • Emmervollkornmehl

Neben Urgetreide wie Emmer und Dinkel können auch andere Urgetreide Sorten verwendet werden, diese sind reich an Nähstoffen und lebendigen Mikroorganismen. Auch bei Vollkornmehl verwende ich das oben genannte Fütterungsverhältnis.

Joghurt-Sauerteig mit Emmervollkorn Mehl

Was macht Joghurt-Sauerteig so gesund?

Probiotische Wirkung: Milchsäurebakterien unterstützen das Darmmikrobiom [mehr zu diesen Thema].

Bessere Mineralstoffverwertung: Die Fermentation baut Phytinsäure ab, was die Aufnahme von Eisen, Magnesium und Zink verbessert.

Länger frisch – besser bekömmlich: Brot mit Joghurt-Sauerteig gelockert bleibt länger saftig und ist leichter verdaulich – vor allem für Menschen mit empfindlichen Magen.

Gute Bioverfügbarkeit: durch den niedrigen glykämischen Index bleibt der Blutzuckerspiegel nach dem Essen stabiler


Fazit:

Der Joghurt-Sauerteig ist keine Modeerscheinung, sondern eine Rückbesinnung auf eine alte, funktionierende Methode, die heutzutage noch von kleinen Handwerksbäckereien, Enthusiasten und Hobbybäckern weitergetragen wird. Klassische Sauerteige haben den gleichen Mehrwert wie Joghurt-Sauerteig, mit einer Ausnahme – er ist besonders gut geeignet für Menschen mit einem sensiblen Magen. Joghurt-Sauerteig ist eine faszinierende Alternative zu klassischen Sauerteig – mit einer neuen Dimension reich an Aromen und kulturellem Tiefgang. Er lässt sich leicht pflegen, passt zu vielen naturbelassenen Mehlsorten und bringt eine angenehme Milde ins Brot. Das beste am Joghurt-Sauerteig ist für mich neben dem feinen Geschmacks- und Aromaprofil – die Stabilität des Sauerteigs, die im Teig erkennbar ist.

Wenn du deine Backwaren auf ein neues Level heben möchtest, probiere es mit Joghurt – du wirst überrascht sein, wie geilomatto er ist!

Mitmach-Aktion:

Teile deinen Joghurt-Sauerteig unter dem Hashtag #JoghurtSauerteigRevival und verlinke mich – ich stelle gerne einige eurer Kulturen in meiner Story vor.

Sauerteig Suppe “Zur”

Schlesische Sauerteig-Suppe Zur

Vom Arme-Leute-Essen zur Kult-Suppe

Draußen ist es nass, kalt und trostlos. Aber man sitzt bei der Wärme eines Holzofens mit den Eltern zusammen in der Küche, redet, isst und fühlt sich rundherum geborgen. Zugegeben: eine solche Situation kann sich in Zeiten von Zentralheizungen und Smartphones wohl kaum noch jemand vorstellen. Aber genau dieses Gefühl von Geborgenheit kommt bei mir auf, wenn ich ein bestimmtes Gericht esse oder nur rieche. Um euch dieses Gericht vorzustellen möchte ich euch zunächst mit in meine Kindheit entführen.

Ich bin in Rosenberg geboren und in Föhrendorf /Oberschlesien aufgewachsen, in einer Situation von der ihr vermutlich von euren Eltern oder Großeltern gehört habt. Zu der Zeit waren in Polen viele Menschen arbeitslos, politische Unruhen und eine anhaltende Erhöhung des Preisniveaus von Gütern hatte eine Minderung der Kaufkraft zur Folge. Als ich 14 Jahre alt war kostete ein Laib schlesisches Brot 15.000 Zloty. Ein paar Jahre vorher 3 bis 8 Zloty.

Rosenberger Ring

Stellt es euch nur mal bildlich vor: du gehst in einen Supermarkt und es ist nichts da was du kaufen möchtest. Keine Butter, keine Milch, kein Mehl…

Du stehst morgens um 4 Uhr auf und stellst dich wie alle Anderen in die Schlange vor den Fleischer an – und obwohl du schon zeitig anstehst, stehen mindestens 25 Personen vor dir und hinter dir wächst die Schlange bist zum Dorfplatz. Stundenlanges stehen und warten auf ein Stück Fleisch – meine Eltern sind oft mit einem leeren Beutel wieder nach Hause gekehrt, weil das Wenige schnell ausverkauft war, als wie man an der Reihe war.

Lebensmittel waren ein knappes Gut: Grundnahrungsmittel wie Fleisch und  Butter sowie Genussmittel wie Bonbons, Alkohol und Zigaretten waren durch staatliche Essensmarken erhältlich. Kaffee, Schokolade oder besondere Lebensmittel wurden “unter dem Tisch” oder teuer gegen Deutsche Mark oder Dollar im Intershop verkauft. Wie gesagt wir lebten in einem Dorf – der nächste Intershop war über 1 Stunde Autofahrt entfernt. Nüsse und Rosinen waren nur in der Weihnachtszeit zu erwerben, dass jedoch zu knapp. Manchmal tauchte irgendwo wie aus dem Nichts ein “Pop up Stand” [Die Polen haben es erfunden!] mit Orangen, Mandarinen oder Bananen auf, der schon nach 30 Minuten leer gefegt war.

Unser Familienhaus

Trotz allem ging es unterer Familie gut. Wir wohnten in unserem backsteinroten Haus mit Garten in einem überschaubaren Dorf mit ca. 400 Einwohner. Jeder kannte jeden und war mit irgendeinem verwand. Welche Arbeit auf dem Hof anfiel oder was gegessen wurde, war von der Jahreszeit abhängig. Wir lebten zum großen Teil als Selbstversorger und hatten zwar nicht viel, aber waren sehr glücklich.

Kleine Margarete am Küchentisch

Mein Vater ging mit einem Pferdegespann im Sommer in den Wald, um Holz zu schlagen, damit wir unseren Herd sowie den Hausofen mit Warmwasseranlage befeuern konnten. Mitten auf dem Hof baute er seine große offene Kreissäge auf und zerkleinerte das Holz während ich mit meinem Kinderfahrrad fröhlich um ihn herum fuhr. Ja, vermutlich war es gefährlich, aber ich erinnere mich mit Freude daran. Im Wald haben mein Vater ich und ich zur Herbstzeit gemeinsam Beeren, Kräuter und Pilze gesammelt, die getrocknet wurden. Dieser Geschmack von Kräutern und Pilzen ist für mich unwiderruflich mit einem Gericht aus meiner Heimat verbunden, um das es hier gehen soll – die Sauerteigsuppe. Doch zuvor zurück zu meiner Kindheit.

Meine Frau Mama hat mir beigebracht, wie man aus Daunen weiche Kissen macht und wie man Lebensmittel  haltbar macht. In unseren Obstgarten hatten wir Apfel-, Birnen-, Kirsch- und Pflaumenbäume und ein großes Erdbeerebeet. Diverse Kräuter und Gemüsesorten gedeihten in unserem Gemüsegarten hinter dem Haus, bei der Obststreuwiese. Der größte Teil der Ernte wurde eingemacht, eingekocht, getrocknet, fermentiert oder eingekelert – damit wir auch im Winter vitaminreiches Obst und Gemüse essen konnten. Unser Regal im Keller war gefüllt mit Marmeladengläsern, Kompott aus unseren Gartenfrüchten, Eingelegten, Wein und Rumtopf – am Fenster standen die großen Fässer mit selbst eingelegten Sauerkraut und schlesischen Gurken. In Keller befand sich auch eine Räucherkammer in der mein Vater Fisch und Fleisch geräuchert hat. Auf unserem Hof lebte auch allerhand Kleinvieh wie Hühner, Gänse und Kaninchen – im Herbst sogar Truthähne. Zwei Mal im Jahr und zu besonderen Anlässen wie Kommunion oder Hochzeit wurde ein Schwein beim Bauern nebenan gekauft – der Schlachter kam ins Haus und alle Familienmitglieder sowie Nachbarn waren bei der Verarbeitung der Fleischwaren in unserer Küche behilflich.

Dies sind die verklärten Erinnerungen eines Kindes -und ja,es ging uns vergleichsweise gut und trotzdem mussten meine Eltern erfinderisch sein, denn vieles in unserem Dorf lief an dem Staat vorbei. Das dies nötig war zeigt dieses Beispiel aus der Zeit der staatlichen Marken: unsere vierköpfige Familie bekam im Monat 2,5 Kg Fleisch zugewiesen, allerdings Knochen und Fett mit eingeschlossen. Eine Lösung, um dennoch alle hungrigen Mäuler zu stopfen ist der Zur oder wie die Polen ihn nennen Zurek. Zur ist eine säuerliche Mehlspeise auf Basis eines Roggenschrot Sauerteigs, welche extrem günstig herzustellen ist und deshalb speziell in Schlesien als “arme-Leute-Essen” gilt [wobei Schlesier generell einkommensunabhängig immer arme Leute sind].

Die gesundheitsförderlichen Eigenschaften des fermentierten Roggenvollkornschrot vom Sauerteig im Zur tragen zum Wohlbefinden bei, weshalb er bei den Menschen so beliebt war und ist. Zwei polnische Sprichwörter, an die ich mich noch aus meiner Kindheit erinnern kann, lauten frei ins Deutsche übersetzt:”Der Genuss von Zur hinterlässt keine Löcher in der Hose.” und “Der Genuss von Zur macht Männer hart wie eine Wand.”

Winterliche Glücksmomente

Der polnische Name Zur leitet sich vom deutschen Wort sauer [sūr] ab. Das Z in Zur wird gesprochen wie das französische J in je’taime oder Janette. Die vielen regionalen Einflüsse finden sich in der kulinarischen Vielseitigkeit in der Zubereitung des Zurs wieder; die Suppe kann mit einem Gemüse- oder Pilzsud aufgesetzt und mit Milch oder Buttermilch geschmacklich verfeinert werden. Als Einlage werden je nach Geschmack, Region und Verfügbarkeit Kartoffeln, Pilze, Röstzwiebeln, Speck, allerlei Wurst, Gemüse und hart gekochte Eier der Sauerteigsuppe beigefügt. Traditionell wird wird der Zur in einem kleinen Brotlaib serviert. In einigen Teilen Polens ist Zur eine reichhaltige Festtagsuppe, die an den Osterfeiertagen gegessen wird. Meine schlesischen Vorfahren [Urgroßeltern/ Großeltern] aßen Zur alle zwei Tage vom Herbst- bis bis zum Frühlingsanfang. Meine Mutter hat diese Tradition weitergeführt und so aßen wir vom Herbst bis zum Winterende regelmäßig Zur mit selbstgepflückten Pilzen, Kartoffeln, Majoran und reichlich Knoblauch. Wir saßen gemeinsam an unserem weißen Holztisch in unserer gemütlichen Küche, in der uns ein Holzkohleofen wohlige Wärme spendete, während die Suppe uns von innen wärmte.

Die Hochzeit der Eltern meiner Frau Mama

Als wir am 10. Oktober 1987 von Polen nach Deutschland geflohen sind nahm meine Frau Mama diese liebgewonnene Tradition mit ins neue Zuhause. Mittlerweile ist meine Mutter über 70 Jahre und in ihrem Kühlschrank steht immer noch ein Gläschen Zur – vom Herbstanfang bis zum Winterende. Deshalb verbinde ich mit der kühlen, kalten sowie nassen Jahreszeit den warmen und wohltuend säuerlichen Geschmacks von Zur auf meiner Zunge. “Es war kalt, manchmal bitterlich kalt mit Temperaturen um minus 20°C, manchmal ist soviel Schnee gefallen, dass die Schule ausfiel. Mein Bruder baute aus den vielen Schnee ein großes Iglu mit Ausgucklöchern mitten auf unseren Hof. Meine Freunde und ich freuten sich den ganzen Winter lang über das eisige Spielhaus. “Wie gesagt, es war kalt, die Scheiben klirrten, die Funken sprühten aus dem Ofen, wir saßen zusammen, die Kerzen flackerten, wir aßen Zur und frisches Brot, der säuerliche Geschmack … – es war romantisch, es war toll!” [Anm. der Autorin]. Auch ich führe die kulturelle Besonderheit der Sauerteigsuppe in liebevoller Erinnerung an meine glückliche Kindheit fort.

Der Winter, die frühen 90ger und ich

Mittlerweile hat sich die Sauerteigsuppe Zur aus dem Schattendasein der “arme-Leute-Essen” zur nationalen Spezialität sogar über die Grenzen Polen hinaus etabliert und suppenaffine Japaner deklarieren Zur als umami, also besonders schmackhaft.

Mit meinem Familienrezept kann nun jeder den klassischen Zur einfach nachkochen. Die Variante mit Roggenvollkorn Sauerteig ist aus meiner Kindheit, da in Polen viel Roggen angebaut wurde. Es ist aber auch problemlos möglich, anderes Getreide wie Dinkel oder glutenfreie Mehlsorten wie Buchweizen oder Reismehl zu verwenden. In Polen ist Zur mittlerweile in allen Varianten von der Tütensuppe bis hin zum Fertigprodukt im Supermarkt erhältlich, aber am besten schmeckt er natürlich selbstgekocht.

Sauerteigsuppe Zur

Zur ist ein klassisches polnisches Gericht. Die herzhafte Suppe ist nicht nur schmackhaft, sondern vor allem sehr bekömmlich und wirkt sich besonders positiv auf unser Darmmikrobiom [Darmflora] aus.

Sauerteig Ansatz:

  • 150g Roggenvollkornschrot
  • ca. 10g Brotkruste (alternativ 1 Teelöffel Sauerteig)
  • 1 Knoblauchzehe
  • 450g lauwarmes Wasser

Alle Zutaten in ein sauberes, großes Glas füllen und gut vermischen, den Deckel nur leicht drauflegen, damit die Gase entweichen können. Bei Raumtemperatur drei Tage für einen milden und 5 Tage für einen säuerlichen Geschmack gären lassen, bis sich ein angenehmer säuerlicher Geruch entwickelt hat. Wenn der Ansatz heranreift, entwickelt sich ein leichter Schaum und Wasser bildet sich auf der Oberfläche. Den Sauerteig Ansatz in der Reifephase täglich 1 bis 2 mal mit einem Holzlöffel umrühren.

Zutaten für den Sauerteig-Ansatz

Nach einiger Zeit trennt sich das Mehl vom Wasser

Ansatz nach dem Umrühren bzw. Schütteln

Zur:

  • 1000g Wasser (alternativ Gemüsebrühe oder Pilz-Sud)
  • 3/4 des Sauerteigs
  • getrocknete Pilze
  • 1 bis 2 Knoblauchzehen
  • getrockneter Majoran
  • Salz, Pfeffer

Beilage – je nach Gusto:

  • Pell- oder Stampfkartoffeln
  • Pilze in Butter angebraten
  • Röstzwiebeln
  • Möhren
  • geräucherte Wurst
  • Veggi Variante: geräucherte oder scharfe Wurst-Alternative
  • hart gekochte Eier

Das Wasser aufkochen und etwa drei Viertel des Sauerteig-Ansatzes nach und nach in das kochende Wasser gießen. Nach Bedarf etwas mehr eingießen, falls man eine “dickere” Suppe bevorzugt.

Getrocknete Pilze, Knoblauch getrockneten Majoran in die Suppe geben und ca. 10 bis 15 Minuten leicht köcheln lassen, gelegentlich umrühren. Mit Salz und Pfeffer abschmecken.

Der fertige Zur wird in einen Brotlaib gegossen und mit Beilagen bestückt.

In einem selbst gebackenem Laib schmeckt die Sauerteig Suppe besonders gut

Den Restansatz-Zur in ein sauberes Gläschen umfüllen und im Kühlschrank parken. Der Ansatz hält sich dort etwa 2 Wochen. Für eine neue Sauerteigsuppe den Ansatz wie oben beschrieben füttern.

Der erste Zur-Ansatz ist noch eher mild-säuerlich im Geschmack, je öfter er gefüttert wird desto intensiver wird sein Aroma und entfaltet seinen typisch kräftig-herzhaften Zur-Geschmack.

Der Geschmack meiner Kindheit

Sauer[teig Suppe] macht lustig